Die Medien sind in den letzten Wochen voll davon: Aufgrund immenser Datenmengen, die Geheimdienste, Soziale Netzwerke und Unternehmen über uns sammeln, werden wir als Bürger, Mitarbeiter und Konsumenten angeblich gläsern. Unsere Wünsche und Absichten werden berechenbar und unsere Handlungen vorhersagbar. Geheimdienste könnten vorausberechnen, ob wir zu Terroristen werden, Online-Versandhändler können vorhersehen, was wir kaufen wollen, und Unternehmen können – so ist nun zu lesen – sogar vorhersagen, welcher Mitarbeiter sich zukünftig illoyal verhält.
Aber was ist da tatsächlich dran? Wer sich selbst alltäglich mit den Möglichkeiten von Software, Data Warehousing und fortschrittlichen Informationstechnologien beschäftigt, kommt gar nicht um die Frage herum, ob mit Computersystemen tatsächlich bald die Vorhersagbarkeit menschlicher Handlungen möglich wird.
Zunächst einmal zeigt die tägliche Erfahrung im Internet, dass die Online-Anbieter mit ihrer personalisierten Werbung noch ziemlich am Anfang stehen. Auch wenn jemand alle Bücher, die er haben will, seit Jahren beim gleichen Händler bestellt, sind dessen Angebote entweder trivial oder unpassend. Natürlich ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass ich mich auch für andere Bücher eines Schriftstellers interessiere, wenn ich schon zwei von ihm gelesen habe. Aber dass mir auf allen möglichen Webseiten immer wieder bestimmte Produkte angezeigt werden, nur weil ich sie mir – aus welchen Gründen auch immer – mal in irgendeinem Shop angesehen habe, ist einfach peinlich.
Aber vielleicht ist es ja nur eine Frage der Zeit, bis die Algorithmen ausgereifter sind und genug Daten gesammelt, damit tatsächlich Verhalten vorhersagbar wird?
Vieles spricht dagegen. Halten wir uns zunächst vor Augen, dass es nicht darum geht, das Offensichtliche vorherzusagen, sondern das Überraschende. Dass jemand, der im Internet Anleitungen zum Bombenbau sucht, immer wieder terroristische Webseiten besucht, E-Mail-Verkehr mit Top-Terroristen hat und regelmäßig in Länder mit Terror-Ausbildungs-Camps reist, vielleicht irgendwann selbst einen terror-Akt plant und durchführt, ist nicht besonders überraschend. Aber selbst in diesen Fällen kann man nicht sicher sein.
Einerseits kennt niemand die Gründe,die der betreffende für seine Handlungen hat. Vielleicht will er einen Roman schreiben, der im Terroristen-Umfeld spielt, vielleicht will er Methoden entwickeln, wie man Terroristen bekämpfen kann, vielleicht ist er einfach neugierig und hat viel Geld und Zeit. Big-Data- und Algorithmus-Experten werden behaupten, dass sie all das anhand weiterer Daten herausfiltern können, aber mit jeder weiteren Information wächst auch die Vielfalt der möglichen Gründe, die jemand für seine Handlungen hat. Wenn man mitbedenkt, dass es gerade im Internet auch einfach möglich ist, nicht nur Spuren zu hinterlassen sondern auch mit wenigen Klicks falsche Fährten zu legen wird schnell klar, dass es nicht schwer ist, wahre Absichten zu verschleiern.
Andererseits weiß auch jeder, dass es ein weiter Weg ist von Interessen, Wünschen oder heimlichen Absichten zu tatsächlichen Handlungen. Selbst wenn meine Online-Aktivitäten auf meine Sehnsüchte oder Sympathien für bestimmte Aktivitäten schließen lassen, egal, ob es um schicke Autos, extreme Sportarten oder verwerfliche politische Einstellungen geht – ob ich selbst wirklich aktiv werde, ist eine ganz andere Frage. Vielleicht bin ich zu träge oder zu feige, vielleicht habe ich doch tief in mir Ängste oder Gewissensbisse, vielleicht kommt aber auch ein Mensch, den ich sehr mag, plötzlich vorbei und überredet mich, etwas ganz anderes zu tun.
All das können Algorithmen und Datensammlungen nicht wissen. Sie können mir nicht in den Kopf sehen und nicht – um es romantisch zu formulieren – ins Herz. Nicht nur die Gedanken sind frei, vor allem sind es auch die Handlungen. Wir können vieles programmieren, aber kein System, das vorhersagt, wer nächstes Jahr zum Verbrecher wird, wer zum Schriftsteller und wer zum Marathonläufer.